190627_ibizagate_und_manfred_deix.pdf |
Da ist ein blauer Vizekanzler der sinngemäß vor versteckter Kamera sagt „Liebe Bürger dieses Landes, die ihr mich wählt: ihr seid saublöd und verdient nichts anderes als von mir hintergangen zu werden.“
Eine sado-masochistische Beziehung eröffnet sich dem Sozialpsychologen. Warum hat ein Mann der die Kronjuwelen des Landes verhökern will und um zutiefst korrupte Parteienfinanzierung wirbt beinahe eine Million facebook-likes? Thomas Bernhard wurde nach der Veröffentlichung von Werken wie Die Auslöschung der Nestbeschmutzung bezichtigt und vom Volk wie die Pest gemieden.
Schlimmer noch: warum kann ein Mann, der als Vizekanzler abdanken muss, erklären, dass er ein Mandat als EU Abgeordneter in Erwägung zieht? Für einen moderat kritisch denkenden Bürger ist das Versagen der Demokratie bewiesen. Aber selbst wenn man nicht viel darüber nachdenkt, so fühlt man, dass das politische System obsolet ist.
Eine funktionierende Demokratie würde drastische Konsequenzen in der Verfassung verankert haben. Ein Politiker, der das Volk so offensichtlich hintergeht wie der ehemalige Vizekanzler, müsste von allen öffentlichen Ämtern auf Lebzeiten ausgeschlossen werden - analog zu einem Arzt, dem wegen vorsätzlicher Fehlhandlung das jus practicandi entzogen wird.
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Und doch funktioniert die Demokratie in Kakanien besser als anderswo. Sie ist und bleibt das kleinste Übel unter all den Ordnungs- und Machtsystemen, die sich unter der menschlichen Spezies in der Moderne etabliert haben.
Der schwarze Kanzler entblößt sein wahres - sowie hier bereits erklärte - Ich und nutzt die Gunst der Stunde um seine Position weiter auszubauen. Er ignoriert die Systemkosten von Regierungsumbildungen und ruft Neuwahlen aus, um die Führung seiner Partei auszubauen. Mit anderen Worten, folgt er in Motivation und Aktion seinem blauen Vizekanzler: es geht rein um Macht- nicht um Zweckpolitik.
Unerwartet für ihn und mich, rafft sich das österreichische Parlament auf und stürzt den jüngsten Kanzler in der Geschichte der österreichischen Republik mit dem ersten erfolgreichen Misstrauensvotum in der Geschichte der österreichischen Republik.
Doch auch der christlich-soziale Wähler scheint sich gerne von seiner Führung hintergehen zu lassen. Alle Gespräche mit Landsleuten bestätigen, dass der ehemalige Kanzler auch der nächste Kanzler sein wird. Das Volk will einen starken, gutaussehenden und jungen Mann. Es ist egal, was dieser wirklich im Schilde führt. So ähnlich erklärten Politologen auch den Sieg von Donald Trump in den USA.
Ein Freund, der als Beamter im Ministerium für Innovation unter dem ehemaligen Bundespräsidenten-Kandidaten Norbert Hofer gedient hat, erzählt mir weiter, dass in den nicht veröffentlichen Teilen der Ibiza-Aufnahmen, die Homosexualität des ehemaligen Kanzlers festgestellt wird.
Die sexuelle Veranlagung eines Politikers ist seine Privatangelegenheit. Es ist jedoch problematisch, wenn eine homosexuelle Führungsperson einer christlich-sozialen Partei sich vor das Volk stellt und eine heterosexuelle Beziehung vorgibt, um dem konservativen Wähler zu gefallen.
Analog zum Konsumentenschutz handelt es sich hierbei doch klar um Betrug oder zumindest vorsätzliche Irreführung des Käufers bzw. Wählers. Der Politiker wirbt mit Werten um das Volk. Seine Werte sind seine Ware. Zweifelsohne ist das von Andreas Kurz angebotene Gut faul.
Wie würde Manfred Deix diese Gedanken visuell aufarbeiten? Lassen deiner Phantasie freien Lauf. Ein Politvirtuoso der letzten Generation hat jedenfalls gute Vorarbeit geleistet.
Die fortschreitende Zersetzung des politischen Systems ist laut den Ibiza-Aufnahmen auch im sozialdemokratischen Lager nicht aufzuhalten. Der Vorgänger des christlich-sozialen Jungkanzlers, ein ehemaliger Bahnmanager, wird in diesen der Pädophilie bezichtigt. Diese Darstellung entbehrt wohl jeglicher Grundlage, freut aber den Karikaturisten, um die kakanische Trias der drei wählerstärksten Parteien in einem Aquarell zu verewigen. Ein Blick in die Vergangenheit von Deix Schaffen gibt Inspiration für die Gegenwart.
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Der einzige Lichtblick in der österreichischen Politarena ist wieder einmal Matthias Strolz, der Politiker der maßgeblich eine absoluten Rechtsruck im Nationalrat sowie einen rechtsradikalen Bundespräsidenten mitverhindert hat.
Er ist zu seinen Ankündigungen gestanden ist und wurde zu keinem Sessel-Kleber. Er hat seine Ämter aufgegeben und widmet sich nun dem Geschichtenerzählen, nicht im Parlament, sondern bei story.one, einem start-up welches den Buchmarkt demokratisieren soll.
Die Frage bleibt jedoch: was kommt nach der Demokratie? What is next? NEOS konnte nicht die versprochene politische Innovation liefern, die die Parteigründer versprochen hatten.
Der Grund war mir bereits unmittelbar nach den Nationalratswahlen 2013 klar geworden: das System ist stärker als seine Elemente. Psychologe Barry Schwartz erklärt am Beispiel der Arbeit, dass sich institutionell festgeschriebene Ideen wie die Demokratie oder der Kapitalismus nicht erneuern können – auch wenn es offensichtlich ist, dass sie falsch sind - weil die gesetzlich verankerte Bürokratie dies nicht zulässt. Jeder Systemtheoretiker wird dies bestätigen.
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Können wir von einem politischen System, welches sich nicht erneuern kann, erwarten, dass die Probleme mit denen wir heute konfrontiert sind, bewältigt werden? Wissenschaftler geben der Menschheit noch bis 2030 um gravierende Änderungen im Wirtschaften mit den uns anvertrauten natürlichen Ressourcen umzusetzen. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Lösungen aus Österreich kommen.
Der heiße Juni mit Temperaturen von 36 Grad macht den mehrtägigen Aufenthalt in meiner Heimatstadt Linz zu einem Urlaub in Südtirol. Die Stadt vibriert in einer mir unbekannten Art, die Bäder und Badeseen sind brechend voll und es regiert ein südländisches Flair.
Auch was die Bauarbeiten und das Verkehrsgeschehen betrifft. Drei wichtige Brücken sind im Umbau begriffen und der Verkehr rollt auf der zweitmeistbefahrenen Straße Österreichs, der A7 über Kilometer im Schneckentempo. Mit den Brücken soll die Verkehrsinfrastruktur der Landeshauptstadt für die nächsten Jahrzehnte gesichert werden. Aber ist der Individualverkehr denn eine ökologisch sinnvolle Zukunft?
Auf Ö3 scherzen die Moderatoren als ich die schöne blaue Donau passiere wie man sich vor der Hitze schützen kann und diskutieren die Wickeltechnik der Beduinen. Eine ältere Dame empfiehlt nur das aller Notwendigste zu erledigen und sich sonst regungslos zu verhalten. Und da mokiere sich noch jemand über die mäßige Wirtschaftsleistung der südlichen Nachbarn.
Die Details, die ich über die Kleidung der Wüstenvölker am populärsten Radiosender der Alpenrepublik lerne, sind höchst interessant und unnachvollziehbar. Beduinen würden schwarz tragen, weil schwarz zwar mehr Wärme absorbiert, aber im Gegensatz zu weiß, diese schneller abgibt. Überdies würde das Tuchwerk nur locker gewickelt, sodass der Wind die Wärme einfach abtragen kann.
Es scheint als würde der Klimawandel die Rechtspopulisten unterstützen, denn sowohl Mode wie auch Religion passen sich den Temperaturen an. Der Islam, der sich vornehmlich in Wüstenregionen ausgebreitet hat, wird also endlich - nach zwei missglückten Belagerungen Wiens - die östliche Festung des Abendlandes einnehmen und HC Strache hat die Chance sich als Bürgermeister der Bundeshauptstadt in die Rolle des Johann Sobieski zu werfen.
Dem Leser, der sich ernsthaft mit dem Versagen der Politik in Fragen des Umweltschutzes beschäftigen will, empfehle ich die Lektüre eines unübertroffenen Essays von Aldous Huxley aus dem Jahre 1962: The Politics of Ecology.
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- Analyse der NR Wahl 2013 und eine Geschichte der österreichischen Parteinbildung
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- Aldous Huxley: The Politics of Ecology