Die Tracht hat etwas authentisch Ästethisches. Wie die meiste traditionelle Kleidung einer Region, ob in Yunnan, dem Kashmir oder im Salzkammergut. Befremdend wirkt sie trotzdem auf mich und den ganzen Morgen frage ich mich warum. Beim späten Mittagessen auf der Seewiese leuchtet mir der Grund der Befremdung schliesslich ein, als ich über einem Loser Bier und einer Käsekrainer die einkehrenden und vorbeiwandernden Trachtenmenschen beobachte: die Tracht schafft Identität durch Äusseres und sie gibt dem Menschen ein oberflächliches Zugehörigkeitsgefühl.
In Gesellschaften kleiner Strukturen war dies in der Tat möglich, da die Tracht mit dem Leben in enger Gemeinschaft verbunden war. Da war mehr als nur die Schale, da war auch ein Kern. Dies ist zumeist seit langem nicht mehr der Fall. Selbst in einem Ort wie Altaussee kennt man oft seinen Nachbarn nicht mehr. Nicht verwunderlich, sieht man sich die vielfältigen Kennzeichen der in Hauseinfahrten parkenden Fahrzeuge an, welche vom W der Bundeshauptstadt überraschend stark durchsetzt sind.
In der heutigen Welt muss Identität aus dem Inneren erzeugt werden. Phänomene wie Chabalier, Münchner Oktoberfest oder vermehrtes Tragen von Trachten bei rechts von der Mitte Parteiveranstaltungen sind für mich daher mit etwas Unruhe zu beobachten. Der moderne Mensch scheint sich mehr als in den 80er und 90er Jahren in die Identität der traditionellen Äusserlichkeit zu flüchten. Dies ist mE mit einer inneren Orientierungslosigkeit verbunden.
Der Weg zum Selbst, der nicht zum Einsiedlertum, sondern zur reifen Identität in Gemeinschaft mit anderen führt, war schon immer eine schwierige Gratwanderung. Heute möglicherweise mehr denn je.