Warum selbst die Analysten der heutigen Ö1 Sendung nicht die Parallelen zu den 1930er Jahren sehen, als eine Weltwirtschaftskrise und mangelnde Solidarität der christlichsozialen Partei (welche Farce, dieser Name) quasi nahtlos in einer nationalsozialistischen Partei aufgeben ließ, ist mir unbegreiflich. Sowohl der brilliante Psychoanalytiker Wilhelm Reich wie auch der vergleichende Historiker Barrington Moore haben diese Entwicklungen beschrieben, sodass sie für jedermann nachvollziehbar sind und va vorausgesagt werden können. Das Land benötigt dringend positive und transformative Ideen, um ein Abrutschen ins Totalitäre zu vermeiden.
Was mich als Wähler äußerst verstimmt ist die Verschwendung des Wahlkampfes. Die ÖVP hat angeblich mehr als sechs Millionen Euro rausgeblasen. Mit idiotischen und unerwünschten Postsendungen an die Wohnungstüre jedes Haushaltes im Lande. Die FPÖ hat eine sicherlich ebenso teure Wahlkampagne geführt, die sich zielgerichtet an die junge Wählerschaft gerichtet hat: Udo Landbauer hat mich auf sozialen Medien regelrecht verfolgt. Könnten wir diese Steuergelder nicht viel besser investieren? Natürlich wäre das möglich. Aber offensichtlich sind die Bürger nicht bereit, dies vom Staat und der Verfassung, die unser Bundespräsident so vehement verteidigen will, zu fordern.
Ebenso enttäuscht bin ich nach so vielen Jahren des nicht in Österreich Wählens, wie deprimierend dieser Vorgang abläuft. Ich habe meine Stimme Sonntag früh in einer Sonderschule St. Pöltens abgegeben, wo vier etwas mitgenommene Frauen links meine Identität feststellten; eigentlich nur eine, die anderen sahen dieser sehr gelangweilt zu. Danach ging ich mit unserem Sohn zu einer der beiden Kabinen, die noch immer so aussah wie vor 30 Jahren als ich meinen Vater zu Wahlen begleitete. Vor mir tat sich eine schier unübersichtliche Anzahl an analogen Möglichkeiten auf, mein Kreuz irgendwo zu setzen, was mich etwas ans Schifferlversenken erinnerte. Nachdem mich aber unser Sohn, der erstmals einen demokratischen Wahlprozess live miterleben durfte, entgeistert fragte, was hier eigentlich los sei, hielt ich mich zurück und erklärte ihm, was es mit den Parteien und den vielen Namen auf sich hat.
Diese Erklärung hat mir selbst die Absurdität dieses Systems und seine Überholungsbedürftigkeit nochmals vor Augen geführt. Unsere Gesellschaften haben sich technologisch in den letzten 30 Jahren exponentiell verändert, aber unsere demokratischen Prozesse sind im Jahr 1950 steckengeblieben. Demokratie kann nicht mehr nur mittelbar sein. Demokratie muss unmittelbar sein. Demokratie kann sich nicht mehr auf die Wahl einer Partei beschränken, die dann für mehrere Jahre irgendetwas macht. Demokratie muss gelebte Mitbestimmung sein und im Zeitalter moderner Kommunikationstechnologien um vieles dynamischer. Wir brauchen keine Berufspolitiker mehr. Diese sind ebenso wie ÖVP und SPÖ Auslaufmodelle. Wir brauchen Bürger, die in agilen Teams Politik machen. Jeder muß an der Macht teilhaben können; und jeder muß dadurch in die Verantwortung gehen. Die direkte Demokratie ist das Modell des 21. Jahrhunderts und die einzige Alternative zu Herbert Kickl.
- ÖVP
- absolute Mehrheit und Macht der ÖVP beendet, was in NÖ eine Art Zeitenwende darstellt
- Wahlergebnisse im Speckgürtel Wiens, der traditionell ÖVP lastig ist, zeigt, dass die ÖVP dort auch ihre Nachwuchswähler verloren hat – sie ist eine aussterbende politische Gruppe
- FPÖ
- hat den Verlust der ÖVP komplett aufgesogen
- trotz der Debakel rund um Haider und Strache
- ist zu einer thematisch vielschichtigen Partei geworden, die neben den Ängsten um Zuwanderung va die Korruption der Proporzparteien angesprochen und damit gepunktet hat
- ist in NÖ auf komplette Opposition eingestellt, um weiterhin für die NR Wahl und somit für Bundeskanzler Kickl Dampf zu machen
- SPÖ
- ist auf den dritten Platz abgerutscht
- Schnabl erkennt die Niederlage nicht, was von seiner Realitätsentfremdung viel erzählt
- hat ihr Klientel verloren, was der Veränderung des Arbeitsmarketes entspricht
- ist eine aussterbende politische Gruppe
- Grüne
- sind eine Partei mit Klubstatus geworden,
- die Oppositionsanträge einbringen können und
- damit eine echte Kraft im Landtag werden
- NEOS
- unverändert
- in diesem System zu überleben, ist an sich schon eine bemerkenswerte Leistung
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- Hoffnung Demokratie? Hinderniss Korruption: Eine Analyse des BAWAG Skandals 2006, der Wahlkampfkampagnen zur nö Landtagswahl 2023, und der Antrittsrede des Bundespräsidenten
- Elinor Oström et al., Trust and Reciprocity: Interdisciplinary Lessons for Experimental Research
- Francis Fukuyama, The Great Disruption: Human Nature and the Reconstitution of Social Order
- Francis Fukuyama, Trust: The Social Virtue and the Creation of Prosperity
- Knut Wimberger, On Agile Democracy and Spheres of Justice