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Bildung als Provokation - Book Review

4/15/2018

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Der Anziehungskraft dieses Titels sowie der Reputation des Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmanns konnte ich nicht widerstehen. Bildung als Provokation ist ein umfassender Versuch sich dem messianisch implementierten Kompetenzerwerb und der dadurch um sich greifenden Inhaltslosigkeit der europäischen Lehrpläne entgegenzustellen und für einen normativen europäischen Bildungskanon in der humanistischen Tradition des 19. Jahrhunderts zu argumentieren.  
 
KPL startet mit einer etwas zynischen Analyse, dass die Bildung in postmodernen, atheistischen Gesellschaften die Rolle einer Religion eingenommen hat und alle Heilsversprechen in sich vereinigt. Dieser Analyse ist beizupflichten und nichts Wesentliches hinzuzufügen, außer vielleicht, dass die Ursache dieser Rollenveränderung im Wettbewerbskapitalismus sogenannter knowledge economies zu suchen ist, und möglicherweise nicht die Bildung Religion, sondern wie etwa der Historiker Harari meint, der Kapitalismus an sich zur Religion, und die Bildung zu einem seiner Rituale geworden ist.  
 
Hier tut sich aber bereits im ersten Kapitel ein Manko im tractatus philosophicus auf, welches sich durch die gesamte Abhandlung wie ein roter Faden zieht. KPL ist auf dem Gebiet der Volkswirtschaft zumindest in diesem Buch nicht einmal oberflächlich bewandert und verabsäumt so einen wichtigen Aspekt in den Diskurs um den Stellenwert und den Zweck von Bildung innerhalb einer Gesellschaft einzubringen.
 
Allerdings erhellt der Autor andere wesentliche Aspekte und eröffnet eine wichtige Diskussion mit der Frage, ob und inwiefern ein Mensch sich selbst durch Bildung verändern kann. Diese Frage erörtert KPL umfassend: Dem Begriff Selbstveränderung können drei Bedeutungen unterstellt werden.
  • Zum Ersten: ich bin es, der sich in seinem Identitätsgefühl verändert, und dies aus freien Stücken: man könnte hier von einer Selbstbildungsautonomie sprechen.
  • Zweitens: Es ist mein Selbst, das durch Bildung verändert wird; dies setzt ein substanzielles Selbst voraus, das durch eine aktivierende und kontrollierende Ich-Instanz verändert werden kann: Bildung als Selbstsuche und Selbstverwirklichung.
  • Und drittens: Ich muss nicht nur mich oder mein Selbst, ich muss mein Leben schlechthin ändern. Man könnte dies das Rilke-Sloterdijksche Anforderungsprofil nennen, das die Möglichkeit, ja Notwendigkeit eines radikalen Schnitts in einer Lebensführung supponiert: Bildung als Zäsur.
 
Ich habe anschließenden Diskurs genossen, da KPL diesen mit seiner eigenen Bildung äußerst lesenswert macht, jedoch fehlen mir gerade wenn es um das Verständnis bzw die Existenz des Selbst geht, psychologische und neurologische Erkenntnisse der letzten 20 Jahre. Jüngste Erkenntnisse der Bewusstseinsforschung sowie der epistemologischen Neurologie können nicht rein durch philosophische Debatten aus den vergangenen Jahrhunderten ersetzt werden.
 
Als Weltbürger widerstrebt es mir zudem zutiefst, dass KPL sich für einen europäischen Bildungskanon einsetzt. Er gibt somit Preis, dass er einer jener Denker ist, die zwar ihren Tellerrand schon über die eigene Herkunftsgesellschaft hinaus erweitert haben, sich aber noch nicht zu einem Kosmopolitismus hinreißen lassen können. Der Grund für diese in Europa weit verbreitete Ansicht mag in der durch dort lebende Zeitgenossen empfundenen Porosität der europäischen Idee und Identität zu finden sein.
 
Erst vor ein paar Monaten las ich einen Leitartikel des Chefredakteurs des Münchner Philosophie Magazins Hohe Luft. Thomas Vasek setzte sich darin eloquent für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein; allerdings suchte er darin eine Erfrischungskur für die Idee eines gemeinsamen Europas, ähnlich wie Liessmann in einem normativen Bildungskanon für die Stärkung und Wiederbelebung dieses Konstruktes eintritt.
 
Wenn man so wie ich weit weg von der Herkunftsgesellschaft in einer komplett fremden Kultur lebt, relativiert sich der Begriff fremd noch einmal und irgendwann bleibt dann nur noch dieser Planet als Heimat und Identität wird zu einem Konzept permanenter teleologischer Veränderung. Im Sinne der Logotherapie Viktor Frankls bin ich zu Hause, wo ich Sinn sehe und die Verantwortung übernehme, diesen Sinn zu erfüllen.  
 
Richtig, diese individuelle Sinnentfaltung alleine stiftet kein gemeinsames Kulturgut. Allerdings muß jeder ausgeschlafene Bürger erkennen, dass angesichts der von tausenden Wissenschaftlern angekündigten sechsten Massenvernichtung ein gemeinsamer, normativer Bildungskanon zweckgerichtet im Erlernen von Überlebensstratgien, maßvollem Konsum, respektvollem Umgang mit Ressourcen, usw. liegen muss, nicht jedoch primär im Rezitieren von Goethe, Hugo und Dante liegen kann. Wenn es quasi ums Überleben geht, darf hier ohne weiter begründen zu müssen von einem Bildungskanon der Pflicht und einem der Kür ausgegangen werden.
 
Entzückt haben mich im zweiten Teil dieses Buches KPLs Ausführungen zum Wert der Hände und sein klarer Respekt für die Arbeit dieser. Goethes Vers aus Faust II „Das sich das größte Werk vollende, genügt ein Geist für tausend Hände“ hat er zwar meiner Ansicht nach nicht nur bei seiner Reifeprüfung falsch interpretiert, aber dennoch richtig erkannt, dass in der Evolution des Menschen die Hand eine herausragende Rolle spielt. Der aufrechte Gang ermöglichte die Entwicklung der vorderen Gliedmaßen zu einer Greifhand, die nun vielfältige Aufgaben übernehmen konnte.  
 
Leider setzt sich KPL nicht wie ich es erwartet hätte für duale Ausbildungen ein, die sowohl die Handarbeit wie auch die intellektuelle Arbeit schulen und durch diese Dualität beide Fähigkeiten zu neuen Höhen leiten können, und das obwohl er den Anthropologen Leroi-Gourhan zitiert: Es wäre nicht sonderlich wichtig, dass die Bedeutung der Hand, dieses Schicksalorgans, abnimmt, wenn nicht alles darauf hindeutete, dass ihre Tätigkeit eng mit dem Gleichgewicht der Hirnregionen verbunden ist, die mi ihr im Zusammenhang stehen. Mit seinen Händen nicht denken können, bedeutet einen Teil seines normalen und phylogenetischen menschlichen Denkens zu verlieren.
 
KPL bleibt stattdessen bei der Betonung der humanistischen Literatur als wesentlichem Vehikel zur Bildung und somit Selbstveränderung. Somit propagiert er jenes Bildungssystem welches ihm am nächsten steht und in welchem er selbst überdurchschnittlich reüssierten konnte. Was ist jedoch mit den unzähligen Lerntypen, die auch in einem solchen – gutgemeinten – normativen Humanismus über einen Kamm geschoren werden und dabei ihre Talente nicht entfalten können?
 
Ich entsinne mich an einen Schulkollegen, der acht Jahre in unserem Gymnasium unter allen Sprachen, insbesondere dem Deutschen litt, trotz aller Widrigkeiten seine Reifeprüfung ablegen konnte und weitere acht Jahre später eine postdoc Forschungsstelle an der ETH Zürich in Bioinformatik antreten konnte. Weder Homer, noch Seneca, weder Kant noch Rilke haben diesen Kollegen jemals angesprochen und ich bezweifle, dass Selbstveränderung für ihn durch einen normativen humanistischen Bildungskanon weniger schadhaft gewesen ist, als der chinesischen STEM Fokus für einen jungen Liessmann gewesen wäre.
 
Im letzten Teil verliert KPL den bildungsinteressierten Leser und gleitet in die Niederungen der Politik ab ohne wirklich das Thema Bildung substanziell weiter zu behandeln. Man hat fast das Gefühl als ob 70 weitere Seiten vom Verleger gefordert waren, um eine verlegenswerte Manuskriptlänge zu erreichen. Es mag auch sein, dass der Titel Bildung als Provokation sich weniger auf einen allgemeinen Bildungskanon bezieht als auf die persönliche Bildung des Autors, der sich am Ende seiner Karriere nochmal gegen die Politik auflehnt und an seine eigene Jugend des Wiener Aktionismus nostalgisch anschließt.
 
Gerade eben auf den letzten beiden Seiten kratzt KPL die Kurve und fängt den Titel wieder ein, indem er eine in der Tat im wiederaufstrebenden Nationalismus des 21. Jahrhunderts passende Bemerkung aus dem 18. Jahrhundert einbringt: Eine gebildete Nation kennt in sich keine andere Gefahr, als das Übermaß ihrer Nationalglückseligkeit. Liessmann schließt indem er die Notwendigkeit einer neuen Aufklärung bejaht, leider aber keine nachvollziehbaren Inhalte anbietet. Nichtsdestotrotz, ein lesenswertes Büchlein, und wenn auch nur, um sich daran so zu reiben wie ich selbst.
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Schrot als vom Korn zu trennendes Kulturgut

4/12/2018

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Man ist, dh ich bin, leicht versucht in meiner Herkunftsgesellschaft Österreich in eine altbekannte Negativität zu kippen. Ausgetretene Gedankenpfade lauern breit wie Autobahnen auf den achtlos Navigierenden. Es bedarf ohne Zweifel eines gewissen Selbstschutzes iSd von Joseph Murphy einst beschriebenen Wächters am Tor zum Vor- und Unbewussten, um nicht abgelegt geglaubte Verhaltensmuster tief konditionierter kakanischer Suderei und Ohnmacht zu reaktivieren.
 
Wenn Postwurfsendungen der deutschnationalen FPÖ, die an die Hass schürenden Postillen der jungen NSDAP erinnern, in der Wohnung meines Bruders am Frühstückstisch zu liegen kommen und mir den frischen Brioche derart vergällen, dass ich es bevorzuge mit leerem Magen den Tag zu beginnen, entsinne ich mich einer kleinen FT Kolumne des kanadischen Schriftstellers Douglas Coupland, der durch den Roman Generation X in den 90er Jahren berühmt und für mich in den Olymp der Literaten eingegangen ist.
 
Coupland reiste während des letzten US-Wahlkampfes nach St. Petersburg und entschuldigte sich bei den Lesern für seine Ignoranz, aber beteuerte diesen, dass die Erleichterung eine unmess- und unbeschreibare sei, die er in einem Land empfinde, in welchem er weder wie ein Analphabet lesen noch wie ein Hörbehinderter akustisch wahrnehmen könne, was sich dort politisch zutrage.
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In den ersten Tagen meines zweiwöchigen Österrreichaufenthaltes wünschte ich mir nichts sehnlicher als der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein. Doch diese Stimmung änderte sich glücklicherweise als ich mich im Gelben Krokodil auf ein Mittagessen traf, mit Peter Lang, dem dort noch immer frisch und froh arbeitenden Mitglied der Linzer Band Shy plauderte und beschloss die gerade angelaufene Dokumentation The Green Lie des Wiener Dokumentarfilmers Werner Boote anzusehen, welche amüsanterweise bzw traurigerweise an den letzten Teil der Piefkesaga erinnert. Denn schon der Schriftsteller Felix Mitterer, Schöpfer der Piefkesaga, lässt vor beinahe 30 Jahren die Gier der österreichischen Tourismusbetriebe in einer Landschaft enden, die Mülldeponien mit Plastikrasen und Gummibäumen verdeckt.
 
Wie schön, dass es mündige Landsleute wie Peter und Werner gibt, die sich des Rechtsruckes in der Politik und der Wirtschaft und den damit verbundenen Folgen reichskristallnachtsklar sind. Wie schön, dass es immer mehr gibt, die um die Unzulänglichkeit des politischen Systems wissen und sich schlicht von diesem absondieren, und wie es in China seit spätestens der Kulturrevolution der Fall ist, apolitisch werden. Wahre Veränderung kommt weder durch die Politik oder aus der Wirtschaft, sondern muss in uns selbst Fuß fassen.
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Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann formuliert diese Konvergenz des Apolitischen zwischen Ost und West in seinem neuen Buch Bildung als Provokation – ohne dabei auf China Bezug zu nehmen – folgendermaßen: Mit der Einheitlichkeit des Milieus ist auch die Einheitlichkeit einer Interessenlage verschwunden. Fast jeder Mensch in einer modernen Gesellschaft hat unterschiedliche, oft einander widersprechende Interessen. Diese sind im Wesentlichen durch die Chancen bestimmt, die der Einzelne nun im Kampf um Bildung, Einkommen, Erfolg, Karriere, Liebe, Genuss und Anerkennung für sich wahrzunehmen glaubt.
 
In anderen Worten haben sich unsere Gesellschaften vom Klassen- und Ständekampf hin zum narzisstischen homo homini lupus (jeder gegen jeden) transformiert und können nicht mehr durch einen Parlamentarismus abgebildet werden, der darauf beruhte kollektive Interessensbündel mittelbar zu repräsentieren und dadurch eine - im weitesten Sinne - Regierbarkeit einer heterogenen Volksgemeinschaft zu gewährleisten. Österreich mag sogar totalitärer geworden sein, als dies China derzeit ist, weil dort die autoritär anmutende Regierung die Interessen breitere Gesellschaftsteile trägt als hierzulande. 
 
Wertbefreiter Kapitalismus ist am eurasischen Kontinent unabhängig vom politischen System die wohl am stärksten treibende Kraft dieser gesellschaftlichen Zersetzung. Werner Boote hat in seinem Film vergessen gerade diesen Aspekt herauszuarbeiten: den Einfluss eines raubtierartigen Wirtschaftens auf das politische Klima. Würde ein Kurz, Strache, Le Pen, Trump, und wie die rechtspolitischen Schergen dieses Planeten alle heißen mögen, Wahlsiege feiern, wären unsere Wirtschaftssysteme inklusiver und würde die Arm-Reich-Schere nicht immer weiter aufklaffen? Nein, natürlich nicht. Denn dann müsste sich die ehemalige Arbeiterschicht und das verarmte Kleinbürgertum nicht um ihre Existenz fürchten und ihre Furcht auf Migranten und generell das Fremde projizieren.
 
Diese Lüge, ob grün oder vielfarbig, geht um vieles tiefer als dies Boote beschreibt, wenn er Weltkonzerne der Fadenscheinigkeit und Heuchelei entlarvt. Es handelt sich dabei um eine moralische und systemische Zerrüttung, die den skrupellosesten Akteuren einen Freibrief für Raub und Plünderung geschrieben hat, ja ihnen sogar Auszeichnungen für beispielhaftes Unternehmertum verleiht. Im kleinen Österreich wird diese Lüge durch die Intimität einer nie wirklich anonymen Gesellschaft klarer als in großen Ländern wie Deutschland, den USA oder China.
 
So zeigt die heimische Forbes Liste der reichsten Österreicher, dass nicht gelogen wird, sondern unser Wirtschaftssystem ganz offen jene bevorzugt und belohnt, die auf Kosten anderer und der Umwelt Profite scheffeln. Seit Jahren wird diese Liste von Dieter Mateschitz angeführt, dem ehemaligen Südostasien Marketing Chef von Blendax, der in Thailand Krating Daeng entdeckte und dieses Aufputschgetränk, welches von einem thailändischen Apotheker – zynischerweise – für die erschöpfte lokale Arbeiterschaft entwickelt wurde, zur Weltmarke Red Bull machte. Mateschitz ist - um nicht weitere Euphemismen zu bemühen - ein Drogenhändler, der seinen Kunden die Gesundheit stiehlt und ihnen die Zeit raubt, indem er ihnen Glauben macht, durch den Konsum des Getränks mehr Energie und mehr Zeit für mehr Blödheiten zur Verfügung zu haben. Konkurrenzprodukte wie Rockstar, Full Throttle, Burn oder Monster sind im Produktbranding weniger subtil als der österreichische Weltmarktführer der menschlichen Energieverschwendung.
 
Weiters führt die Liste der reichsten Österreicher Johann Graf, Gründer der Firma Novomatic, einem Unternehmen, welches sich in automatisiertem Glücksspiel zu einem Weltmarkführer entwickelt hat. Novomatic war in meiner Zeit als Technologie Attache am Generalkonsulat in Shanghai die einzige Firma, deren Betreuung ich aus ethischen Gründen ablehnte, obwohl Herrn Graf eine Ehrenprofessur durch den damaligen Bundespräsidenten der Alpenrepublik verleihen wurde.
 
Ebenso fragwürdig, jedoch nicht von der Aura von Alkoholikervätern belastet, die ihr bescheidenes Einkommen an Novomatic Automaten verprassen und damit nicht nur sich, sondern ihre gesamte Familie in Not und Elend stürzen, ist die Firma L’Occitane en Provence. Jahrelang war ich der Meinung, dass es sich dabei um einen jüngeren französischen Luxus- und Kosmetikkonzern handelt, fand dann aber heraus, dass ein gewisser Reinold Geiger aus Dornbirn Ingredienzien schön verpackt dem schwachen Menschen feilbietet. Während Red Bull vorgibt das Verlangen nach mehr Kraft zu stillen, Novomatic die Illusion vom schnellen Glück und Reichtum bewirbt, so verpackt L’Occitane die Sünde der Eitelkeit in einem ästhetischen Konsumprodukt; und jeder weiß, dass die Margen der Kosmetikbranche nur mit dem Drogenhandel vergleichbar sind.
 
Im seligen Österreich läuft also ebenso viel falsch wie im Rest der Welt. Durch die inzestartige Kleinstrukturiertheit des österreichischen Rumpfstaates, welcher mit nicht einmal neun Millionen Einwohnern so bevölkert ist wie eine drittrangige chinesische Stadt, ergibt sich jedoch ein kultureller Sumpf der nur von Künstlern und Schriftstellern wie dem Karikaturisten Manfred Deix oder dem Autor Wolf Haas in vollem Umfang widergegeben werden kann.
 
Die Vielschichtigkeit der destruktiven unternehmerischen Machtausübung wird am deutlichsten klar im Falle des Sportsponsorings von Mateschitz. Dieser ist mittlerweile nicht nur ein gewichtiger Player in der österreichischen und deutschen Fußballbundesliga mit den Vereinen RB Salzburg und RB Dresden, sondern mischt auch in anderen Disziplinen wir Eispuckstoßen, Formel 1 Kreisfahren sowie Flug- und Extremsuizidsport unkontrolliert mit. Nur durch sein Gebräu ist es einem klar denkenden Menschen möglich beim Konsum von sinnbetäubenden und passiven Massensport wach zu bleiben. Welch eine geniale Kombination von Geschäftssegmenten, um sich an seinen Kunden und am Planeten fest- und diese auszusaugen.
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Es ist die Politik, die der Wirtschaft Schranken setzen sollte und einen rechtlichen Rahmen schaffen und diesen exekutieren müsste, der nur unternehmerisch Tätigkeiten zulässt und fördert, die dem Allgemeinwohl und nicht der Bereicherung einzelner dienen; doch diese scheitert auch im schönen Österreich an der von Aldous Huxley brilliant beschriebenen ersten und höchsten Hürde gesellschaftlichen Fortschritts: der korrumpierenden Wirkung der Macht.
 
Freunde erzählen mir, dass unser neuer, junger, knackiger Bundeskanzler noch vor wenigen Jahren als Chef der Jugendorganisation der christlich-konservativen Partei auf einem Hummer Geländewagen umgeben von chlorformgebleichten Blondinen durch das Land tingelte, um wie er sagte, die Politik wieder geil zu machen. Wenige Jahre zuvor startete die deutsche Saturn-Mediamarkt Gruppe die Werbekampagne Geiz ist Geil und traf damit ebenso den Zeitgeist wie ihr Nachahmer Kurz: Geilheit ist genau jene Maßlosigkeit, welche das Gegenstück zur Ausgeglichenheit bildet, die unser Planet und die meisten seiner Bewohner in einem aus dem Fugen geratenen Wirtschafts- und Politiksystems benötigen würden. Die Geilheit ist genau jene Wesenseigenschaft, der bereits der vorchristliche Philosoph Epikur die Ataraxia, die Besonnen- und Maßvollheit entgegenstellte, um Glück und Erfüllung zu finden.   
 
Das Wort geil mag im Neudeutschen eine gute Konnotation besitzen, aber es hat sich inhaltlich nicht von seiner etymologischen Wurzel im Indogermanischen entfernt. Aufschäumend, heftig, übermütig und ausgelassen sind Charakterzüge die für den Fasching oder die Fastnacht einmal im Jahr passend, aber nicht für die Routine der Politik oder der Wirtschaft, die unsere Gesellschaften in eine bessere Zukunft steuern soll, brauchbar sind. Wer ständig geil ist, fährt nicht nur sich selbst, sondern unter Umständen ein ganzes Land oder sogar eine Zivilisation gegen die Wand, insbesondere, wenn diese Geilheit sich ganz auf Macht fixiert.
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Individuation im Jungschen Sinne bedeutet, die Schrot vom Korn zu trennen. Und so ist die teilweise schwierige und undurchsichtige Aufgabe des sich individuierenden Menschen, erhebendes Kulturgut aus seiner Herkunftsgesellschaft mitzunehmen, sich daran zu stärken und diese Eigenschaften auszubauen, erniedrigendes und bedrückendes jedoch als solches zurückzulassen und dessen Verbreitung tunlichst einzudämmen.
 
Die Entscheidung mich von meinem Elternhaus in Linz zu trennen kam unerwartet. Jahrlanges Sanieren des Gebäudes nach dem Tode meines Vaters im Jahre 2010 war motiviert von der Unsicherheit in einem anderen Land auf einen Aufenthaltstitel angewiesen zu sein. Gerade jetzt, wo ein bezugsfertiges Heim im Grüngürtel meiner Geburtsstadt in unmittelbarer Nähe zu unzähligen kostenlosen Bildungseinrichtungen zur Verfügung steht, löse ich mich von einem vermeintlich sicheren Hafen in der stürmischen See des globalen Kapitalismus. Ohne zu wissen, was ich mit dem Erlös anstellen werde, vertraue ich auf einen Wink des Schicksals, auf göttliche Fügung, intuitive Anleitung den nächsten Schritt für meine Familie im richtigen Moment zu setzen.
 
In Zeiten, in denen man auf Betongold spekuliert und eine spürbare Inflation um sich greift, finden manche meine Entscheidung grob fahrlässig. Insbesondere chinesische Freunde bezichtigen mich des Wahnsinns. Und vielleicht haben sie recht. So stellte ich beim Einkauf im Diskontführer Hofer fest, dass etwa Mozartkugeln dort nunmehr EUR 3.79 kosten anstatt der noch 2013 gewohnten EUR 1.99. Jene Mozartkugeln, die ich fünf Jahre zuvor regelmäßig für Kollegen und Kunden aus der alten Heimat mitgebracht hatte, sind wie viele andere Produkte schleichend in nur wenigen Jahren beinahe doppelt so teuer geworden. Während also Konsumprodukte teurer werden, Einkommen geringer und Arbeitsplätze weniger, trenne ich mich von der einzigen Sicherheit, die ich unseren Kindern hinterlassen kann? Welch ein Unfug.
 
Mag ich auch fahrlässig handeln, so fühlt sich der Schritt, mich von meinem Elternhaus, von meiner physischen Herkunft zu trennen, befreiend und richtig an. Heimat und Geborgenheit sind nicht im Materiellen zu finden, sondern dort zu suchen, wo man Aufgaben zu erfüllen hat, wo man einen Beitrag für eine bessere Zukunft leisten kann. Dieser Ort ist zumindest für mich im Moment China und die Zukunft, zu welcher ich beitragen möchte, eine bessere für uns alle.
 
Ausgerüstet hat mich meine Herkunftsgesellschaft für diese Aufgabe mit einem Blick für die großen Zusammenhänge, einer Eigenschaft, die wie ich schon mehrmals beschrieben habe, gerade in der geopolitischen Kleinstrukturiertheit und ethnischen Pluralität des östlichen Alpenraumes, wo germanische, slawische und romanische Kulturen aufeinanderprallen, besonders gedeiht. Anders ist es nicht zu erklären, dass insbesondere Wien Denker wie Heinz von Förster, Viktor Frankl und Peter Drucker hervorgebracht hat.
 
Aber es ist nicht notwendig im 20. Jahrhundert nach dem kulturellen und intellektuellem Licht der verblassenden Habsburger-Monarchie zu suchen, denn auch die Gegenwart bringt trotz aller Widerstände und entgegen aller Wahrscheinlichkeit Gutes hervor. So konnte ich mich in fast intimem Rahmen an der Musik von Korn und Frieda (dieses Korn nehm ich mir mit, die Kornblume lass ich zurück) sowie 5/8 in Ehren erfreuen – aufstrebende Mühlviertler Wödmusi und Wiener Soul vom Feinsten; und durfte durch einen Freund den neuen Dokumentarfilm von Kurt Langbein Zeit für Utopien vor dem Kinostart sehen.
 
Ob Langbeins Film entstanden ist, weil den Österreichern nicht mehr viel anderes übrigbleibt als sich in Utopien zu flüchten, scheint angesichts der politischen Tristesse naheliegend, aber sowohl die in der Dokumentation gezeigten Lebensentscheidungen wie auch die Texte von Korn und Frieda geben Hoffnung, dass mehr und mehr Menschen sich von den exogenen Rahmenbedingungen abwenden und tief im eigenem Inneren nach Befreiung suchen. So leisten sie - wahrscheinlich unbewusst - einer buddhistischen Weisheit Folge: 回头是岸 - Der Blick auf das Selbst - nicht auf das Andere oder den Anderen - führt zur Erleuchtung.
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