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Zur Bildungskrise und dem Gefangenendilemma

12/17/2021

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Der Pädagoge und Journalist Karl Heinz Peterlini hat am 25. April dieses Jahres kurz vor Beginn der Wiederaufnahme des Vollunterrichts nach dem Frühjahrslockdown in einer Tageszeitung eloquent beschrieben wie Covid-19 die Schwachstellen des Bildungssystems offenlegt und uns eine Chance zur Veränderung gibt. Ein weiterer Winter ist in Land gezogen und hat den Virus erstarken und die Bevölkerung erkranken lassen, dennoch gibt es keine Anzeichen, die darauf hindeuten, dass wir zu einer Systemänderung fähig sind. Ganz im Gegenteil: Pharmakonzerne beschenken uns mit Impfstoffen, die es Erwachsenen trotz Mutation des Virus ermöglichen, ihre Arbeitsplätze und Kindern ihre Schulen zu besuchen. Starr halten wir an einem System fest, welches rund um uns bereits begonnen hat zu zerfallen. Wie anders kann man die Fortschreitende Zerstörung von Natur und Gesellschaft interpretieren? Eine systemtheoretische Betrachtung eines Vaters zweier Schüler.

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Das Licht am Ende des Tunnels sehen.
 
9. Dezember 2021. Ich gehe mit unserer dreizehnjährigen Tochter nach dem Abendessen zu Fuß von unserer St. Pöltner Wohnung zum Impfzentrum des Landes Niederösterreich im Traisenpark während unser neunjähriger Sohn zuhause bleibt. Es ist stockfinster und der vereiste Schnee der letzten Tage knirscht unter unseren Schuhen. Ich habe ihr die zweite und mir die dritte Impfung gebucht, obwohl ich alles andere als überzeugt bin, dass diese so wie der Bildungsdirektor des Landes Niederösterreich am 24. November in einem Elternbrief geschrieben hat: der einzige Ausweg aus dieser Situation ist.
 
Das Impfzentrum ist weitläufig und wirkt surreal. Glatter grauer Beton am Boden. Grell gelbe Wände und Decken. Es herrscht eine ruhige, fast feierliche Stimmung, die mich an eine Beerdigung erinnert. Wir werden an die Tische geleitet, auf denen wir den Anamnese Fragebogen ausfüllen, und gehen ein ganzes Stück ohne auf eine andere Person zu treffen, um unser Arztgespräch zu führen. Was hatten sie bei der letzten Impfung? fragt einer der beiden jungen Ärzte. Ich schwenke meinen Blick auf die Kabinen, wo links BionTech/Pfizer und rechts Moderna auf einem Papier ausgedruckt steht.
 
Rote Pille oder blaue Pille? Es macht keinen Unterschied. Wir sind pragmatisch und wollen den Stempel im Impfpass, der wie ein Führerschein gegenwärtig zur Navigation der Gesellschaft berechtigt und spaltende Diskussionen verhindert. Der Vergleich ist passend. Ebenso wie ein Führerschein nichts über die tatsächliche Fahrkompetenz des Besitzers aussagt, so sagt die Impfung nichts über den Schutz vor Krankheit oder für Mitmenschen aus. Im Falle unserer Tochter ist dies durch den Umstand bewiesen, dass sie trotz doppelter Impfung weiterhin in der Schule drei Mal pro Woche getestet wird.  
 
Nachdem wir diesen Stempel in unseren Impfpässen entgegennehmen, gesellen wir uns zu den wenigen anderen Geimpften in den Wartebereich. 10 Minuten warten, flüstert mir Zoe zu. Wir setzen uns und ich beginne in ihrem Impfpass zu blättern, der wiederum im Mutter-Kind-Pass steckt. Als ich die Schwangerschaftsuntersuchungen finde, kommen Erinnerungen hoch und ich beginne Zoe unvermittelt über die ersten 18 Monate ihres Lebens zu erzählen, insbesondere von ihrer Geburt in der Semmelweiß Klinik in Wien-Währing. Von der Schwangerschaftsgymnastik, die mich in den Wahnsinn getrieben hat. Von der Ruhe ihrer Mutter vor und Tapferkeit bei der Geburt. Vom Geschrei der anderen Frauen. Vom Frühstück am Morgen und der kurzen Fahrt in die Klinik danach. Von der Geburt selbst, nur wenig später, um 11:59 am 25. Mai 2008.
 
Zoe hört mir gebannt zu. Ich fühle mich ihr verbunden wie nur selten und frage mich, warum es solcher Momente bedarf, um mit den eigenen Kindern wirklich in Kontakt zu treten. Die Routine des Alltags ist meist nur ein Neben- jedoch kein Miteinander. Wir sind zu beschäftigt als dass ein zur Ruhekommen möglich wäre. Ich blicke ihr in die Augen und schließe meine Erzählung: Deine Geburt hat mein Leben verändert wie nichts anderes. Du und dein Bruder stehen im Zentrum meines Handelns. Wir stehen auf und schlendern gut gelaunt aus der großen Halle Richtung Ausgang. Ein letzter Blick zurück und ich denke mir: in jeder Erfahrung kann man Positives finden, wenn man es zulässt. Ich bin dankbar für das Gespräch mit Zoe, und dieses seltene Gefühl, dass Menschen einer westlichen Gesellschaft einen gemeinsamen Nenner haben können. Es wird die Beziehung zwischen Eltern und Kindern sein, die über den Ausgang dieser vielschichtigen Krise entscheidet.
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Lernen was zählt. Jetzt.
 
Zoe nimmt seit 20.11 nicht mehr am Präsenzunterricht teil und wird bis 13.1 trotz Impfung zuhause Lernen. Die österreichweite Regelung, daß Kinder ohne ärztliches Attest zuhause bleiben dürfen, war für uns eine willkommene Möglichkeit - frei nach Designer Friedrich von Borries - die Risse im System weiter auszunutzen und eine Alternative zu entwerfen. Jeden Tag habe ich Zoe gefragt, was sie in der Schule lernt und ob sie interessiert ist. Jeden Tag habe ich dieselbe Antwort bekommen. Bis auf bildnerische Erziehung und Werkunterricht ist jeder Schultag von gähnender Langeweile geprägt.
 
Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel schrieb vor Kurzem auf seinem twitter account: What’s the point of an economic system that does not produce wellbeing and destroys the planet? Wir können dieselbe Frage für unsere Bildungssysteme stellen: What is the point of an education system that produces unhappy adults who don’t know how to secure our species’ survival? Das Zusammenspiel von Wirtschaft und Bildung ist ein Henne-Ei Problem: Was kommt zuerst? Welches System ist kausal für die Entwicklung des anderen?
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Die mangelnde Bereitschaft der Regierung, das Bildungssystem nachhaltig zu transformieren ist vom wirtschaftlichen System, in dem die Bildung eingebettet ist, bestimmt. Die Nation, die zuerst von Wettbewerb auf Wohlbefinden umschwenkt, könnte von den anderen im geltenden Rattenrennen überholt und ausgebootet werden. Und doch ist es im Wettbewerb genauso entscheidend innovativ zu sein, um über geltende Paradigmen hinwegzudenken, wie dies der Entwurf einer neuen Form des Zusammenlebens und Wirtschaftens erfordert. Wir müssen sowohl Henne wie auch Ei zeitgleich ändern.
 
Nach drei Jahren an einer Hong Konger Schule und drei an einer Chinesischen Schule in Shanghai hat unsere Tochter diesen Jänner ihr erstes Zeugnis von einer österreichischen Schule nachhause gebracht. Es war wohl die Erinnerung an meine eigene Schulzeit, die diesen unspektakulären Moment so prägend gemacht hat. Ich suchte sofort nach meiner Dokumentenmappe und blätterte nach meinem Zeugnis aus der gleichen Schulstufe. Die beiden Dokumente nebeneinanderliegend bestätigen meinen ersten Eindruck: trotz exponentieller technologischer Veränderung hat sich das Schulsystem zwischen 1989 und 2021 nicht verändert.
Unsere Kinder werden in den gleichen kurzen Unterrichtseinheiten mit zu vielen und irrelevanten Inhalten um ihre Gesundheit gebracht und ihres Glückes beraubt. 98 Prozent des Unterrichtes findet in geschlossenen Räumen statt, wird von oft frustrierten und bürokratisch überforderten Pädagogen durchgeführt und tötet den natürlichen Lerninstinkt des Kindes durch das Wiederkauen von überholten Inhalten ab, beispielsweise Wirtschaftswachstum als wirtschaftspolitisches Kernziel darzustellen oder wochenlang den zweiten Weltkrieg durchzuarbeiten, während sich hier und jetzt eine mindestens ebenso grosse Tragödie offensichtlich unbemerkt entfaltet.
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Durchblick. Geographie und Wirtschaftskunde für die 7. Schulstufe.
Zoe besucht derzeit die achte Klasse einer St. Pöltner Schule und wird noch bis Sommer als außerordentliche Schülerin geführt, daher wird sie offiziell in allen Fächern, in denen sie noch nicht muttersprachliches Niveau erreicht hat, nicht beurteilt. Allerdings hat das durch wirtschaftlichen Wettbewerb geprägte Schulsystem diese an sich im Schulgesetz festgeschriebene Nichtbeurteilung bereits in den ersten Wochen durchbrochen und Zoe, die mit Chinesisch als Erst- und Englisch als Zweitsprache aufgewachsen ist, einen guten Teil ihres natürlichen Selbstvertrauens abgegraben.  Erst kürzlich sagte sie beiläufig, dass sie weder in Mathe noch in Englisch gut sei. Aber wie viele deiner Mitschüler können mehrere englische Lieder akzentfrei und auswendig singen? fragte ich sie. Das hat doch nichts mit Englisch zu tun, war ihre Antwort. Und sie hat leider Recht, denn das Schulfach Englisch so wie ich es im ersten Jahr mitverfolgen durfte, erlaubt es AHS Lehrern Beistrich Setzung zu betonen und musikalische Fähigkeiten zu ignorieren. Ken Robinson ist wohl der bekannteste Pädagoge, der diesen kranken Fokus auf roboterartige Sprachfertigkeit und die weitgehende Vernachlässigung von arts & drama beklagt hat.
 
Anstatt einen Schüler aus einer anderen Kultur bzw mit Talenten und Interessen, die etwas von der Norm abweichen, als eine Bereicherung zu sehen und langsam in die Klassen- und Schulgemeinschaft aufzunehmen, um die deutsche Sprache mit Spiel, Geschichten und Einfühlsamkeit näherzubringen, hagelte es einem industriellen Bildungssystem entsprechend und entgegen der außerordentlichen Stellung ein Nichtgenügend nach dem anderen bei Tests und Schularbeiten. Gespräche mit Klassenvorstand und Schulleitung halfen nur bedingt. Es gibt wenig Raum innerhalb des geltenden Lehrplanes, erklärte mir die Direktorin in ihrem Büro, indem sie auf den vor ihr liegenden Schulgesetz Kodex deutete, um auf ihre Tochter Rücksicht zu nehmen. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wie kann man nur soviel seiner Berufung zum Lehrer aufgeben? War da jemals eine? Sprechen wir von einem Produkt, einem maßzuregelnden Insassen oder einem menschlichen Wesen, dem wir bei allem Glauben an das Gute in unserer ureigenen Natur genügend Freiraum schenken, um sich bestmöglich zu entfalten?
 
Seit 20.November ist Zoe zuhause und ich helfe ihr einen neuen Rhythmus zu finden. Nur mehr an den notwendigsten Stunden online teilnehmen. Ausreichend schlafen, so wie es Neurowissenschafter für Jugendliche seit Jahren fordern und es während der dunklen Wintermonate ohnehin für alle Kinder die Regel sein sollte. Freiwerdende Zeit für ureigene Interessen nutzen. Mehr Energie und dadurch auch wieder Lust am Singen und Musizieren, Zoes zentrales Talent, welches im musikalischen Zweig des BORG St. Pölten absurderweise abgestorben ist. Wir musizieren nicht, sondern machen nur Musiktheorie! klagte sie. Tägliches Yoga, um Körper und Geist selbstbestimmt zu stärken. Die Transformation ist nicht einfach. Sie erfordert Einsatz des Kindes und der Eltern, und ich kann Zoe in diesem Prozess nur begleiten, weil ich an keinen Beruf gebunden bin.
 
Als Umweltpädagoge mache ich mit meinen Kindern kurze und lange Naturerkundungen und beobachte ihr Interesse an den unterschiedlichsten Begegnungen. Bei einer dieser Nachmittage im Freien fragte mich Zoe warum es Sauerstoff in der Atmosphäre gibt und warum wir diese überhaupt auf der Erde haben. Es entwickelte sich ein schönes Gespräch und ich war erfreut, darüber, dass die Glut der Neugierde noch nicht komplett erloschen war. Fragen dieser Art sind wie Funken, die ein Feuer zu entzünden vermögen.
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Ich erinnerte mich an das Big History Project, welches ich vor wenigen Jahren als best practice für selbstgesteuertes Lernen untersucht hatte. Zoe war dafür bereit. Seit Ende November lernt sie nach einer kurzen Einführung selbständig und wir besprechen jeden Tag ihren Lernfortschritt. Sie führt ein Tagebuch zum Kurs, in dem sie relevant erscheinendes notiert oder zeichnet. Zoe ist bereits im Kapitel drei angelangt, welches die Evolutionsgeschichte erklärt und hat diese Woche eine detaillierte Antwort gefunden wie Sauerstoff auf der Erde entstanden und sich die Atmosphäre gebildet hat.
 
Nun bin ich erfreut, dass sich diese Transformation des Lernens so bei Zoe vollzieht, aber der Beginn des Regelunterricht hängt wie ein Damokles Schwert über uns – ein Brief der Direktorin zu Beginn dieser Woche ermahnt Eltern, dass sie zwar ihre Kinder ohne Entschuldigung zuhause lassen dürfen, diese jedoch zu Semesterende benotet werden müssen. Selbst unter diesen außergewöhnlichen Bedingungen regiert der Wettbewerb. Ich frage mich wie es wäre, wenn viele Eltern mit uns auf einem gemeinsamen Nenner wären. Friedlich und besonnen in eine neue Richtung steuernd, weil wir davon überzeugt sind, dass ein post-industrielles Bildungssystem, welches auf die individuellen Bedürfnisse und Talente unserer Kinder Rücksicht nimmt, sowohl für unsere Familien wie auch für die Gesellschaft Wohlbefinden und Glück zeitigen.
 
Das Gefangenen Dilemma
 
Francis Fukuyama hat mich mit seinen Ausführungen zum Gefangenen Dilemma auf eine wichtige systemtheoretische Analogie gebracht, die im Zusammenhang mit der Transformation von Bildungssystemen tiefe Relevanz hat. Das Gefangenen Dilemma wird von Ökonomen und Evolutionsbiologen verwendet, um Kooperation durch reziproken Altruismus zu erklären. Die zentrale Frage, die dabei beantwortet werden soll: wie kommen rational handelnde, aber egoistische agierende Spieler zu kooperativen Normen der Interaktion, die nicht nur ihren eigenen, sondern auch den Wohlstand von Gruppen erhöhen?
 
Dieses klassische Problem der Spieltheorie wird derart beschrieben: Sam und ich sind im Gefängnis, und wir kommen überein gemeinsam auszubrechen. Wenn wir kooperieren, können wir fliehen, aber wenn Sam mich bei den Wachen preisgibt, dann werde ich streng bestraft. Andererseits, wenn ich Sam bei den Wachen preisgebe, dann wird er bestraft und ich belohnt. Wenn wir uns beide preisgeben, dann erhält niemand einen Vorteil. Wir werden daher beide besser aussteigen, wenn wir kooperieren und an unserer Abmachung festhalten, aber das Risiko, dass Sam mich verrät ist substanziell, und ich bekomme eine Belohnung, wenn ich ihn bei den Wachen verrate. Daher entscheiden wir beide, getrennt voneinander, dass wir uns verraten. Trotz der gegenseitigen Vorteile durch die Kooperation, vereitelt die Gefahr als Verratener auszugehen, dass sich die Vorteile manifestieren.
 
Systemisch betrachtet sind die Mitglieder einer Gesellschaft Insassen eines Gefängnisses. Das kapitalistische Paradigma bindet uns in den Wettbewerb ein und verpflichtet uns, unsere Kinder in Bildungsinstitutionen zu schicken, die auf Wettbewerb ausgerichtet sind. Anstatt Mitgefühl und Empathie zu lernen und zu lehren, werden unsere Kinder selbst unter den Rahmenbedingungen einer schweren Grippewelle, die die Gesellschaft über mehrere Wochen hinweg lähmt und viele Familien vor allem aus einkommensschwächeren Schichten schwer trifft, im wortwörtlichen Sinne im survival of the fittest geschult.
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Dass der Sozialdarwinismus von Herbert Spencer eine Sackgasse war, wurde eigentlich klar belegt. Dass Symbiosen zwischen Organismen in Krisenzeiten einen Überlebensvorteil schaffen, wurde in der Evolutionsbiologie mehrfach bewiesen. Trotzdem strebt unsere Gesellschaft auseinander. Wir werden oberflächlich in Impfleugner und Geimpfte wie in Zeiten der spanischen Inquisition eingeteilt. Es herrscht wie bereits der Kulturkritiker Neil Postman in den 90er Jahren geschrieben hat, das tiefste Mittelalter, aber die uns überall umgebende Technik macht uns glauben wir hätten uns weiterentwickelt. Nein. Das haben wir nicht. Wir leiden noch immer an einem beschränkten Bewusstsein, das nicht sehen will, dass wir zueinanderstreben sollten.
 
Wie zeitigt sich dieses Auseinanderstreben im Bildungswesen, dem wichtigsten Hebel einer Gesellschaft, die soziale Durchlässigkeit und gerechte Umverteilung erreichen will? Das öffentliche Schulsystem wird zunehmend durch Privatschulen unterminiert wie ich es nur aus China kenne. In Shanghai, das wir 2009 bis 2020 unser zuhause nannten, gibt es beispielsweise über 100 internationale Schulen, in die Eltern, die es sich leisten können ihre Kinder vor dem hoch selektiven staatlichen System retten. In Österreich poppen private Schulen auf wie Pilze desselben Nährbodens: einer zunehmend kompetitiven Wissens- und Informationsgesellschaft.
 
Waren Privatschulen eine seltene Ausnahme zu meiner Zeit als Schüler, so sind diese mittlerweile auch im Sozialstaat Österreich ein fester Bestandteil der Bildungslandschaft: Kürzlich wurde die International School Krems im Stift Göttweig eröffnet, in St. Pölten besteht eine International School, das integrative Montessori Atelier versucht seit einigen Jahren eine Nische für sich zu besetzen, die renommierte Lernwerkstatt in Pottenbrunn bei St. Pölten zieht seit 20 Jahren eine Gruppe an Reformpädagogik interessierter Eltern an, in Linz hat sich zur Linz International School die Anton Bruckner International School gesellt und so bieten Kleinstädte an, was bisher nur in Wien zu finden war: Alternativen zum staatlichen System.
 
Am unscheinbaren Beispiel des Integrativen Montessori Ateliers in St. Pölten konnte ich aus erster Hand erfahren, welches soziale Spektrum an Familien sich für Privatschulen interessiert: eine gehobene Mittelschicht ausschließlich österreichischer Nationalität, die es sich leisten kann ihre Kinder täglich aus bis zu 50 km entfernten Landsitzen zur Schule zu bringen. Im Gegensatz dazu sind in der öffentlichen Grundschule nebenan bis zu zwei Drittel Kinder mit Migrationshintergrund und islamischen Glaubensbekenntnis eingeschrieben. Die gesuchte Rettung ist daher nicht nur eine bei der es sich um den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch um den Zugang zu einer Form von Kultur geht. Die Ritter des Abendlandes kämpfen noch immer mit den Heiden Kleinasiens.
 
Dass diese Alternative sowohl Angebot wie auch Nachfrage erfährt ist in sich selbst bemerkenswert, da Veränderungen der Bildungslandschaft auf tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft hinweisen. Managementphilosoph Peter F. Drucker, der die Veränderungen am Arbeitsmarkt und die Anforderungen an den Arbeitnehmer seit dem zweiten Weltkrieg mit unerreichter Klarheit beschrieben und vorhergesagt hat, ließ uns bereits vor mehr als 20 Jahren wissen, dass Informationsgesellschaften kompetitiver sein werden als jede zuvor bestehende menschliche Organisationform. Dass dieser Wettbewerb zunehmend das Bildungssystem und damit unsere immer jüngeren Kinder erfasst, war zu erwarten.
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Die großen Ballungsräume Chinas, Peking, Schanghai und Hongkong führen gemeinsam mit anderen fernostasiatischen Ländern wie Singapur und Korea seit Jahren die PISA Studie an. Der konfuzianische Bildungsergeiz verschränkt sich jedoch gerade unter Covid-19 mit einem wirtschaftlichen Erstarken dieser Region, welches der Westen noch nicht kannte. Das Abwandern von ganzen Wertschöpfungsketten nach Asien hat Europa strukturell schwach und abhängig gemacht. Das Resultat – auch wenn in vielen Familien nicht offen diskutiert – ist eine Flucht aus dem staatlichen Bildungssystem und der Versuch der Rettung in einer privaten Institution, die dem eigenen Nachwuchs einen gewissen Startvorteil in einer bereits unsicher gewordenen Welt verschafft. 
 
Und nun zurück zum Gefangenen Dilemma. Es ist vollkommen verständlich, warum sich Eltern für eine private Schule entscheiden: man will das Beste für den eigenen Nachwuchs, der einem nähersteht als irgendjemand sonst. Francis Fukuyama findet dafür die akademisch richtigen Worte: Menschliche Kooperation beginnt mit der Verwandtschaft; der Grad an gelebten Altruismus steht im direkten Verhältnis zum Grad der Verwandtschaft. Hierzulande wird gesagt: das Hemd ist einem näher als der Rock.
 
Globaler Gulag vs Globale Gemeinschaft
 
Was dabei von Eltern wie auch der nationalen Bildungspolitik übersehen wird: waren in den 80er und 90er Jahren Arbeitsmärkte noch weitgehend regional, so sind diese in den 2020ern transnational bzw sogar global. Aus der Perspektive des Evolutionsbiologen hat sich die Dimension des Ökosystems verschoben: War es früher für einen Menschen ausreichend im (Bildungs-) Wettbewerb in einem räumlich begrenzten Ökosystem zu bestehen, so hat die technologische Beschleunigung der letzten 50 Jahre einen globalen Arbeitsmarkt geschaffen, der Bildungseliten in wenige Zentren wie Beijing und San Francisco zieht und dort bindet, während die Peripherie zunehmend zurückbleibt. Eine vielleicht nestbeschmutzende aber faktische Anmerkung: Österreich ist bereits Teil dieser Peripherie.
 
Technologische Veränderung hat einen globalen Gulag geschaffen, indem sich nur mehr wenige Privilegierte vor der evolutionsbiologischen Brandung auf sichere Ufer retten können. Das fortschreitende Bevölkerungswachstum auf fast acht Milliarden Menschen hat darüber hinaus eine Situation entstehen lassen, welche gerade durch Covid-19 und hier vor allem in den Bildungs- und Gesundheitssystemen, eine sogenanntes behavioral sink erzeugt. Dieses wurde in den berühmten mouse utopia Experimenten des Ethologen John Calhoun beschrieben und zeigt, dass bei Säugetieren bei zu wenig Rückzugsraum epidemische Verhaltensstörungen und mentale Erkrankungen auftreten.
 
Ein globaler auf ökonomischen Wettbewerb basierender Markt, in dem Nationalstaaten als größte Mitbewerber einer gegenüberstehen, reduziert deren Bürger zu Armeen in einer Schlacht, die nicht mehr auf blutigem Boden, sondern auf den Feldern der Forschung, Innovation und Bildung ausgetragen werden. Unbewusst unterstützen wir dieses System, indem wir unsere Kinder wie Söldnern in Schulen schicken, in denen nicht Kooperation und Empathie, sondern Wettbewerb und Leistungsbewusstsein zählt.
 
Jene Eltern, die ihre Kinder auf private Schulen schicken, meinen diese vor dem Wettbewerb zu retten oder ihnen in diesem Wettbewerb einen besseren Startvorteil mitzugeben. Aber, um zum Gefangenen Dilemma zurückzukommen, sie geben in Wirklichkeit andere Eltern preis, die sich diesen Luxus nicht leisten können oder sich bereits beherzt für ein post-industrielles Lernen entschieden haben und ihre Kinder nicht mehr dem ewigen Rattenrennen aussetzen wollen.
 
Ich möchte diese Analogie nochmals ausführen, weil der Dimensionssprung ein erheblicher ist: Während in der klassischen Spieltheorie das Ökosystem ein Gefängnis ist, also ein territorial beschränkter Raum, und zwei Gefangene vereinbaren auszubrechen, so müssen wir feststellen, dass wir in Bezug auf Arbeit und Bildung im 21. Jahrhundert in einem globalen Ökosystem agieren, das territorial nicht beschränkt ist. Diejenigen, die sich in diesem Bildungs- und Arbeitsmarkt als Gefangene sehen, müssen zu einer Vereinbarung gelangen, um gemeinsam auszubrechen.
 
Nehmen wir an, dass eine derartige Vereinbarung konkludent abgeschlossen wurde, so müssen alle Eltern, die ihre Kinder weiterhin zur – auf Wettbewerb ausgerichteten – Schule schicken, und andere Eltern (und damit deren Kinder) bei den Systemwächtern, also im übertragenen Sinne, den Bildungsbehörden, Direktoren und Lehrern preisgeben, als Verräter und Vereinbarungsbrecher erkannt werden.   
 
Die Frage, die sich nun wie in der Spieltheorie stellt, ist folgende: Wie kann der Verrat derart unattraktiv gemacht werden, dass an der Vereinbarung festgehalten wird? oder anders formuliert: wie kann der gesellschaftliche Mehrwert alle Kinder unserer Gesellschaft an einem post-industriellen Bildungssystem teilhaben zu lassen so interessant werden, dass an der Vereinbarung (dem bereits von Jaceques Rousseau beschriebenen Gesellschaftsvertrag) festgehalten wird? Francis Fukuyama erläutert die Rahmenbedingungen und erklärt warum das Erkennen eines „sozial suboptimalen Ergebnisses“ zentral zur Lösung ist:
 
Gefangenendilemmas sind für ihre Spieler problematisch, weil die Lösung, bei der beide Spieler betrügen, von Spieltheoretikern als Nash-Gleichgewicht bezeichnet wird. Der Betrug ist die beste verfügbare Strategie: Sie minimiert die Wahrscheinlichkeit, dass du in eine so genannte „Trottelauszahlung“ gerätst, bei der der andere Spieler mit einer Belohnung für das Verpfeifen davonkommt, weil du dich an deine Vereinbarung gehalten hast. Gleichzeitig hast du die Möglichkeit, dasselbe mit ihm zu tun. Doch während Betrug für dich als Einzelperson eine bessere Strategie ist als Kooperation, führt er zu einem schlechteren Ergebnis, wenn die Handlungen beider Spieler berücksichtigt werden - was Ökonomen ein „sozial suboptimales Ergebnis“ nennen. Die Frage ist also, wie die einzelnen Spieler zu einem kooperativen Ergebnis kommen können.
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Was die Spieltheorie irgendwie übersieht (zumindest in den Ausführungen Fukuyamas) ist die nicht unerhebliche Rolle der Gefängniswachen. Diese Wachen sind nicht nur externe Agenten im Zusammenspiel zwischen den beiden zu einer Vereinbarung gelangten Gefangenen, sondern auch potentielle Insassen. Denn werden die Bedingungen im betroffenen Ökosystem derart unerträglich, dass selbst die Wachen zu Zweifeln beginnen, dass sie ihr Brot mit der richtigen Arbeit verdienen, so werden sie zu potentiellen Komplizen der Gefangenen im Ausbruch bzw in der Systemveränderung.
 
Übertragen auf unsere Gesellschaften müssen wir uns fragen, wer diese Wachorgane sind und wem die herrschende Machtstruktur nützt. Dass diese Machtstruktur keine ökonomische Gerechtigkeit, keine Stärkung von Gemeinschaften, keine wahre Bildung und kein erfolgreiches Bewahren unserer Umwelt erreicht, sollte nicht mehr argumentiert werden müssen. Vermögenskonzentration wie vor dem ersten Weltkrieg (Thomas Piketty), Korrosion von Gemeinschaft und Familie (Francis Fukuyama), Propaganda und Produktion unglücklicher Kinder (Ken Robinson) und ökologischer Kollaps (Fritz Schumacher) sind von renommierten Autoren logisch stringent dargelegt worden.
 
Nüchtern betrachtet sind es die bürokratischen Apparate der westlichen Demokratien, die als Wachorgane der Vermögenden, ein krankes System am Leben erhalten. Es sind diese tausenden von Beamten und Vertragsbediensteten in Gemeinden, Städten, Ländern und dem Bund, die im Sinne der Spieltheorie nur geringstes Interesse haben, den Status Quo zu verändern. Sie verdienen überdurchschnittlich gut, arbeiten in der Regel unterdurchschnittlich wenig (ich war in beiden Welten mehrere Jahre zuhause, und weiß wovon ich spreche), und verändern sich beruflich nur, wenn sie nach Sinn und Selbstverwirklichung streben.
 
Nachdem in unseren Wasserköpfen von Staatsgebilden eklatante Budgetanteile für Bildung und Gesundheit aufgewendet werden, muss man explizit alle Mitarbeiter von öffentlichen Bildungsinstitutionen und Gesundheitseinrichtungen als verlängerte Arme der Bürokratie und somit Wachorgane des Gefängnisses hervorheben. Es sind die Lehrer, die vielleicht enthusiastisch ihre Karriere begonnen haben, aber nach Jahren vom System taub gemacht, ihre Arbeit nur mehr als Brotjob verrichten. Es sind die Ärzte, die sich in der Spitalshierarchie zum Oberarzt oder Primar hocharbeiten und nebenbei in ihren Privatpraxen mit der Krankheit einer kranken Gesellschaft reich werden bzw bleiben.
 
Genau dieser Umstand erklärt warum in den jüngsten Demonstrationen in Wien wo tausende auf die Straße gingen, gerade gegen Krankenhäuser Aggression gezeigt wurde und im Herbst 7500 Kinder von den öffentlichen Schulen genommen wurden: der Bürger fühlt sich mehr denn je als Untertan einer dominanten Machtstruktur, die mehr an Selbsterhalt als Gemeinwohl interessiert ist. Das Problem ist mit anderen Worten nur sekundär die Vereinbarung zwischen den Gefangenen. Es ist primär die fehlende moralische Verantwortung der apathischen Wächter, ein offensichtlich Schaden verursachendes System nicht weiter zu unterstützen.
 
Hier ist nun eine zweite Kritik an der Spieltheorie zu üben, die mE noch fundamentaler ist als die erste: Warum geht diese überhaupt davon aus, dass es sich um ein Gefängnis handelt und bei den beiden zu einer Vereinbarung kommenden um Gefangene? Wer hat in dem der Spieltheorie unterliegendem System entschieden, dass die Betroffenen gefangen sind? An diesem Punkt ist definitiv eine Untersuchung der Primärliteratur zum Gefangenendilemma und Robert Axelrods Überlegungen der Frage wie Kooperation unter Menschen entstanden ist notwendig, sprengt aber den Rahmen dieser Betrachtung.
 
Tatsache ist jedoch, dass man beim Gefangenendilemma von einer Gefängnissituation ausgeht und damit jeden Bürger in der Gesellschaft, dessen Wille zur Kooperation untersucht wird, automatisch in eine Gefangenen Position zwängt. Es handelt sich also um kein freies Individuum in einer erleuchteten und fairen Gesellschaft, sondern um ein unterjochtes und in die Enge getriebenes Wesen, welches nicht mit Strategie eine Systemveränderung herbeiführen kann, sondern nur mit Taktik versucht innerhalb der gegebenen Systembedingungen den bestmöglichen Vorteil für sich herauszuholen.
 
Diesen Annahmefehler hat Aldous Huxley bereits 1962 indirekt mit seinem Essay The Politics of Ecology aufgedeckt, in dem er das menschliche Streben nach Macht als wesentliche Ursache für die Zerstörung der Natur aufgedeckt hat. Er beschreibt, dass das zentrale Problem der menschlichen Natur nicht die Kooperation zwischen zwei Gefangenen ist, sondern die Versuchung der Macht, die einem jeden Machthabenden permanent zum Mißbrauch verleitet. Die in der Spieltheorie durchzudenkende Situation ist daher ein Wächterdilemma: Unter welchen Bedingungen entschließt sich der Wächter mit dem Gefangenen zu kooperieren und anstatt einem Ausbruch (und daher dem Weiterbestehen des Gefängnisses) eine Auflösung des Gefängnisses einzuleiten?
 
Es ist genau diese Situation, die uns in einer Gesellschaft interessieren muss, denn was wir benötigen ist eine Transformation von machtmissbrauchenden Strukturen, sowohl innerhalb von demokratischen wie auch diktatorischen Systemen, hin zu einer globalen Struktur der mündigen Freiheit. Mehr ökonomisch gedacht bedeutet dies die Reduzierung der staatlichen Intervention auf ein Minimum, denn es ist innerhalb des öffentlichen Sektors wo sich die größten Potentiale auf Systemoptimierung befinden und wo in breitem Ausmaß Entscheidungen getroffen werden, die weder ökonomisch noch ökologisch nachhaltig sind. Der alleinige Umstand, dass tausende Vertragsbedienstete von den gefangenen Bürgern durch Steuerabgaben finanziert werden, um ihre Kinder wiederum zu Gefangenen heranzuziehen, sollte zur Einsicht gereichen, dass wir eine gundlegende Systemtransformation benötigen, die mit einem schlanken Staat starten muss.
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Die Sechste Massenvernichtung
 
Realistisch betrachtet werden weder genügend Bürokraten noch genügend Eltern erkennen, dass ein Beibehalten der gegenwärtigen kompetitiven Bildungseinrichtungen – egal ob staatlich oder privat - zu einem sozial suboptimalen Ergebnis führen. Noch ist uns das Hemd näher als der Rock und wir meinen, dass Investitionen in den industriellen Bildungsapparat zumindest die nationale Wettbewerbsfähigkeit stärken. Ebenso meinen wir, dass klingende Namen wie Mary Ward oder Sir Karl-Popper-Gymnasium unsere Kinder vor der reißenden Brandung der Automatisierung und der Verdrängung durch strebsame asiatische Schüler am globalen Arbeitsmarkt schützen.
 
Wer die Dimensionen Chinas nur ansatzweise verstanden hat, weiß, daß ökonomische Einheiten wie Österreich, das bestenfalls mit einer zweitrangigen Stadt wie Hangzhou verglichen werden kann, und selbst die Europäische Union als Wirtschaftsblock, von China in einer globalen und von kapitalistischen Prinzipien geprägten Wirtschaftsstruktur, umspült, unterwandert und ausgebootet wird. Es gibt kein Entkommen vor den ökonomischen und sozialen Folgen, die ein Erstarken Asiens insgesamt bzw den Eintritt in einen Wettbewerb mit einem totalitär organisierten Superstaat wie China hervorrufen. 500 Millionen bis zu einer Milliarde Menschen in der globalen Hackordnung plötzlich über sich zu haben, kann entweder mit mehr Wettbewerb vor allem unter unseren Kindern verkrampft bekämpft oder idealerweise mit einer alternativen Strategie entspannt hingenommen werden.  
 
Ob uns dieses Umdenken gelingen wird, hängt stark davon ab, wie schnell sich unsere Umwelt verändert, sprich wie schnell die Klimakrise keinen anderen Ausweg mehr erkennen lässt als auf Kooperation umzuschwenken und die Vereinbarung, aus dem Gefängnis auszubrechen, einzuhalten. Mangels Wahrnehmung der großen systemischen Veränderungen, muss die Veränderung des unmittelbaren Lebensraums die notwendige Lektion erteilen. Wie sagt man nochmal hierzulande? Wer nicht hören will, muss fühlen. Ein erneuter Blick in die Evolutionsbiologie erhellt, was wir nicht mehr als Betrachter, sondern als Beteiligte erkennen können: Die fünf festgestellten Massenvernichtungen in der Erdgeschichte werden als Folgen von exzessivem Wettbewerb in einer ökologischen Nische beschrieben. Der Mensch hat im Anthropozän den Planeten zu einem einzigen globalen Ökosystem werden lassen, welches auch als ökologische Nische betrachtet werden kann: es ist der einzige Ort im bekannten Universum, an dem wir überlebensfähig sind. 
 
Die sechste Massenvernichtung, die für viele Wissenschaftler zweifellos im Gange ist, führt evolutionsbiologisch dazu, dass der die Tragfähigkeit des Planeten überfordernde Wettbewerb innerhalb unserer eigenen Spezies, beendet wird. Wenn wir also nicht kooperativ handeln lernen und einen neuen Gesellschaftsvertrag ersinnen, verfassen und halten können, werden zuerst die Ökosysteme rund um uns kollabieren, Leid und Tot wird ins Land ziehen, bis die biologische Nische, die bisher vom homo sapiens besetzt war, durch eine andere Lebensform übernommen wurde.
 
Ob diese neue Lebensform eine bessere Version des Menschen, den homo illumens wie ich ihn gern bezeichne, oder ein Virus sein wird, muss sich noch herausstellen. Wir haben aber definitiv die Möglichkeit auf dieses Ergebnis Einfluss zu nehmen. Evolutionsbiologen bezeichnen jedenfalls den Vorgang der Anpassung an neue Lebensbedingungen als „adaptive radiation“: jene anatomischen oder im Falle des Menschen kulturellen Merkmale, die nicht haltbar sind werden ausgelöscht, während sich solche die ein Überleben gewährleisten schnell verbreiten.
 
In Zeiten der planetaren Krise hat die Erdgeschichte wiederholt gezeigt, dass die Symbiose zweier Spezien einen wesentlichen Vorteil im Überlebenskampf herstellt – eine biologische Betrachtung des Gefangenendilemmas. Wer die Angst vor Übervorteilung durch andere überwinden und der Verlockung kurzfristiger Gewinne standhalten kann, wird gerade in den bevorstehenden Krisenzeiten seine Überlebenschancen erhöhen. Aus diesem Grunde sind gemeinschaftsbasierte co-living Projekte, die Wohnen, Wirtschaften und manchmal auch Bildung dezentral denken und transgenerational leben können, Lichter am Ende des Tunnels. 
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Wege aus der Bildungskrise sind Wege aus der Klimakrise
 
In Österreich haben sich in den vergangenen 10+ Jahren über 100 co-living Projekte etabliert. Diesen Initiativen ist es oft mehr oft weniger gelungen einem Aspekt des kapitalistischen Systems zu entkommen: etwa den steigenden Immobilienpreisen oder dem Zwang für die Nuklearfamilie oder den Singlehaushalt jegliche Notwendigkeit vom Schraubenzieher bis zur Waschmaschine selbst anschaffen zu müssen. Die Projekte, die ich kennengelernt habe, scheitern jedoch bei einem zentralen Thema: der Bildung.
 
Hierbei müssen zumindest zwei Probleme erörtert werden: Einerseits gibt es innerhalb einer Gesellschaft, egal ob regional begrenzt oder sich global erstreckend, gewisse Bildungsinhalte, die besser zentral zur Verfügung gestellt werden, als sie in wahrscheinlich minderer Qualität von dezentralen Institutionen gesamtökonomisch betrachtet ineffizient aufbereiten zu lassen. Es geht im Zentrum um die Frage wie ivy-league-Blidungsinhalte allen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort und ihren ökonomischen Möglichkeiten. Andererseits gibt es Bildungsinhalte wie Empathie für sich selbst, den Mitmenschen und den Planeten, die nicht global, sondern lokal zu erarbeiten und idealerweise ein Vehikel sind, um tiefe persönliche Beziehungen zu schaffen und zu stärken. Home schooling kann letzteres nicht leisten. Es braucht wie ein afrikanisches Sprichwort sagt ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Dies wiederum deutet auf die bevorstehende Transformation unserer urbanisierten Gesellschaften hin, in denen die Nuklearfamilie und städtische Anonymität zu soziologischen Verwerfungen geführt hat, die sich in der Bildungskrise weiter verstärken.
 
Der software Unternehmer Martin Ford bringt die zentrale Rolle der Bildung auf den Punkt: Das größte Risiko besteht darin, dass wir uns einem "perfekten Sturm" gegenübersehen könnten - einer Situation, in der sich technologische Arbeitslosigkeit und Umweltauswirkungen in etwa parallel entwickeln und sich gegenseitig verstärken und vielleicht sogar verschlimmern. Wenn es uns jedoch gelingt, die fortschreitende Technologie in vollem Umfang als Lösung zu nutzen und gleichzeitig ihre Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Einkommensverteilung zu erkennen und zu berücksichtigen, dann dürfte das Ergebnis weitaus optimistischer ausfallen. Es könnte sich als die größte Herausforderung unserer Zeit erweisen, einen Weg durch diese verflochtenen Kräfte zu finden und eine Zukunft zu gestalten, die Sicherheit und Wohlstand auf breiter Basis bietet. 

Bildung als öffentliches Gut zu begreifen, das nicht durch wettbewerbsorientierte Gewinn- oder Machtmaximierung beeinflusst werden darf, ist der Schlüssel, um diesen Weg zu finden. Ein bedingtes universelles Grundeinkommen die Basis, um diesen Bildungszugang zu ermöglichen. Denn so wie der Psychologe Abraham Maslow bereits 1964 geschrieben hat, ist das langfristige Ziel der Bildung - wie auch der Psychotherapie, des Familienlebens, der Arbeit, der Gesellschaft, des Lebens selbst - dem Menschen zu helfen, zu seiner vollsten Menschlichkeit zu wachsen, zur größten Erfüllung und Verwirklichung seiner höchsten Potentiale, zu seiner größtmöglichen Statur. Eine Diskussion, welche gesellschaftlichen Werte wir mit Bildung verfolgen ist daher jetzt notwendiger denn je zuvor, aber nicht mehr ausreichend. Eltern – egal ob Gefangene oder Wachen - die bereit sind eine Alternative zur staatlich-industriellen Bildungsmaschine zu bieten, müssen handeln.

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Weiterführende Texte:
  • Karl Heinz Peterlini, Das gewonnene verlorene Schuljahr
  • Johann Heuras, Brief der Bildungsdirektion an Eltern niederösterreichischer Kinder
  • Friedrich von Borries, Weltentwerfen: Eine politische Designtheorie
  • Jason Hickel, Urgent Need For Post-Growth Climate Mitigation Scenarios
  • David Christian, Big History Project
  • Gertrude Aumayr, Brief an Eltern des BORG St. Pölten, 10. Dezember 2021
  • Knut K. Wimberger, Unlocking Human Potential Through Play
  • Ken Robinson, The Element: How finding Your Passion Changes Everything
  • Big History Project: Crash Course on the Epic Story of Evolution
  • Peter F. Drucker: The Essential Drucker
  • Francis Fukuyama, The Great Disruption: Human Nature and the Reconstitution of Social Order
  • John Calhoun, The Mouse Utopia Experiments
  • Thomas Piketty, Capital in the 21st Century
  • Fritz Schumacher, Small Is Beautiful – Economics as if People Mattered
  • Robert Axelrod, The Evolution of Cooperation
  • Aldous Huxley, The Politics of Ecology
  • Tibi Puiu, The 6th Grand Extinction will be invisible
  • Martin Ford, Rise of the Robots
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