Eine merkwürdige Umschichtung begann sich in unserem alten, schläfrigen Österreich vorzubereiten. Die Massen, die stillschweigend und gefügig den Proporzparteien durch Jahrzehnte die Herrschaft gelassen, wurden plötzlich unruhig, organisierten sich und verlangten ihr eigenes Recht. Gerade in dem letzten Jahren brach die Politik mit scharfen, jähen Windstößen in die Windstille des behaglichen Lebens. Das neue Jahrtausend wollte eine neue Ordnung, eine neue Zeit.
Die wichtigste dieser Massenbewegungen in Österreich war die liberale. Bisher waren politische Entscheidungen nur den Sozialisten und Christdemokraten zugeteilt gewesen, die im jeweiligen Parteikader aufgewachsen waren. Die von dieser Klasse gewählten Advokaten, Landwirte und Kämmerer aber glaubten ehrlich, daß sie im Parlament die Sprecher und Vertreter des Volkes wären. Sie waren sehr stolz darauf, gebildete Leute, womöglich akademisch gebildet zu sein, sie hielten auf Würde, Anstand und eine gute Diktion; in den Sitzungen des Parlaments ging es darum zu wie bei dem Diskussionsabend eines vornehmen Klubs. Dank ihrem gewachsenen Glauben an eine unfehlbar fügige Welt meinten diese Bilderbuchdemokraten ehrlich, mit kleinen Konzessionen und allmählichen Verbesserungen das Wohl aller Untertanen auf die beste Weise zu fördern. Aber sie hatten vollkommen vergessen, daß sie nur die fünfzigtausend oder hunderttausend in ihren eigenen Reihen repräsentierten und nicht die Hunderttausenden und Millionen des ganzen Landes. Inzwischen hatte die Aufklärung ihr Werk getan und um die Überparteilichkeit und Lösungsorientiertheit die früher verstreute liberale Bürgerschaft gesammelt; unter der Führung eines eminenten Mannes, Dr. Matthias Strolz, bildete sich in Österreich eine liberale Partei, um die Ansprüche des Bürgertums durchzusetzen, das ein wirklich allgemeines und für jeden gleiches Mitgestaltungsrecht an der Zukunft forderte.